Wenn es um Ökologie, Artengemeinschaften und Globalisierung geht, fällt nicht selten das Wort Neozoen. Oft wird es in einem Atemzug mit invasiven Arten genannt und mit einer deutlichen Bedrohung bestehender Ökosysteme in Verbindung gebracht. Doch was genau sind Neozoen und wie wirken sie sich auf ein System aus? Stellen sie eine Gefahr für die heimische Artenvielfalt dar?
Inhaltsverzeichnis
Wie werden Neozoen definiert?
Bei Neozoen handelt es sich um tierische Arten, die mit der Hilfe des Menschen in ein Ökosystem eingewandert sind oder eingeführt beziehungsweise eingeschleppt wurden und sich dort etabliert haben. Sie stellen gemeinsam mit den Neophyten (Pflanzen) und Neomykoten (Pilzen) die Gruppe der Neobiota dar. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Arten das Gebiet selbstständig erreicht haben oder ob sie, absichtlich oder unabsichtlich, transportiert wurden. Manche Wissenschaftler definieren Neozoen hingegen ausschließlich als durch direkte menschliche Einflüsse angesiedelte Arten, nicht durch indirekte. Es ist ebenfalls nicht wichtig, welche Distanz die Art dabei zurückgelegt hat – solange sie im Gebiet nicht natürlich vorkam, wird sie als Neozoon bezeichnet. Zeitlich gesehen existiert bei Tieren, im Gegensatz zu Pflanzen, keine scharfe Grenze in der Vergangenheit, ab wann eingewanderte Arten als Neozoen gelten. Üblicherweise wird der Begriff jedoch erst genutzt, wenn sich eine relativ stabile Population entwickelt hat, einzelne oder nur für kurze Zeit anwesende Tiere sind nicht inbegriffen.
Einige Arten bringen ein besonders hohes Potenzial zur Entwicklung als Neozoen mit, weil sie über hierfür günstige Eigenschaften verfügen. Dazu zählen viele Nachkommen, eine große Anpassungsfähigkeit und Bedürfnisse, die sich gut mit menschlichen Tätigkeiten vereinbaren lassen. Einige Arten sind außerhalb menschlicher Siedlungsbereiche nicht lebensfähig, finden dort aber ideale Bedingungen (Wärme, Nahrung) vor. Die Anpassungsfähigkeit umfasst dabei auch variable physische Eigenschaften, wie veränderte Beinlängen, sowie – bei Räubern – ein flexibles Beutespektrum. Nicht zuletzt ist der Erfolg einer neuen Art von der Präsenz konkurrierender heimischer Arten abhängig: Sind ausreichend ungenutzte Ressourcen vorhanden, können neue Arten schneller Fuß fassen als bei bereits starker Ausnutzung vorhandener Möglichkeiten. Weltweit stammen die meisten invasiven Arten zurzeit aus Europa.
Wie kommen Neozoen in neue Ökosysteme?
Neozoen können auf sehr unterschiedlichen Wegen ein neues Gebiet erreichen. Einer davon sind natürliche Wanderungsbewegungen, vor allem von sehr mobilen Arten. Unterschiedliche Spezies bewegen sich dabei, je nach Methode, Größe sowie natürlichen und künstlichen Barrieren, wenige Kilometer im Jahrzehnt oder auch am Tag. Aufgehalten werden sie, wenn eine Barriere wie ein Gewässer, eine Autobahn oder ein Gebirge weder überwindbar noch umgehbar ist. Der Grund für die Wanderung kann eine Vergrößerung der Population sein. Es kann aber auch eine Vertreibung, beispielsweise durch Bautätigkeit, Abholzung von Wäldern, Trockenlegung von Mooren oder anderweitige Zerstörung der Lebensräume, vorliegen. Nicht zuletzt begründen klimatische Veränderungen Bewegungen in andere Regionen. Dabei folgen Arten den für sie günstigen oder überlebensnotwendigen Bedingungen, die sich, vor allem durch den Klimawandel, zunehmend verschieben. Gleichzeitig können durch menschliche Veränderungen Landschaften entstehen, die bestimmten Arten die bevorzugten Lebensbedingungen liefern.
Aber auch ohne eigene Initiative können Arten fremde Ökosysteme erreichen – oft über sehr weite Strecken. Das kann zum Beispiel im Brauchwasser von Schiffen in Flüssen oder über Ozeane hinweg geschehen. Es kann auch im Zuge des Warentransports stattfinden, beispielsweise von Containern mit Obst, Gemüse oder ganzen Pflanzen. Kleine Tiere wie Insekten und andere Wirbellose können auch unbeabsichtigt im Passagierbereich von Kreuzfahrtschiffen, Flugzeugen oder Zügen mitreisen. Hier besteht ein Zusammenhang zwischen dem Grad der Globalisierung eines Landes und der Anzahl der eingeschleppten Arten.
Eine weitere Ursache für die Verschleppung von Arten ist die Haltung vieler Spezies durch Privatpersonen oder in Zoos. Entkommen diese oder werden – beispielsweise aus Überforderung oder Platzmangel heraus – von ihren Haltern ausgesetzt, kommt es gelegentlich zu überlebensfähigen Populationen. Voraussetzung ist, dass die Anzahl der Tiere ausreichend zur Fortpflanzung ist und sie günstige Bedingungen vorfinden. Vor allem in früheren Zeiten wurden zudem bewusst Tierpopulationen ausgesetzt, entweder als Wild für die Jagd, für den Fischfang oder als biologische Schädlingsbekämpfung anderer unerwünschter Arten.
Welche Auswirkungen hat die Ausbreitung auf die neuen Ökosysteme?
Zunächst werden neue Arten in der Regel mit dem Fokus bezüglich ihrer Auswirkungen auf Menschen betrachtet. Dabei sind Neozoen für gewöhnlich nicht direkt problematisch, können in Einzelfällen jedoch als Vektoren für unter Umständen gefährliche Krankheiten dienen. Zugleich können sie Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf bereits etablierte Ökosysteme einer Region haben, die sehr unterschiedlich ausfallen können. Die gravierendsten Veränderungen betreffen oft Land- und Forstwirtschaft.
Die Auswirkungen von Neozoen auf bestehende Ökosysteme werden in den Medien oft sehr dramatisch dargestellt. Die Realität ist jedoch deutlich differenzierter. Je nachdem auf welche Bedingungen und welche Artengemeinschaft Neozoen treffen, können sich unterschiedliche Zustände einstellen:
- Die neue Art löscht eine oder mehrere Arten aus, entweder im Rahmen einer Konkurrenz oder als Beute. Diese Folge ist ausgesprochen selten und wird nahezu nur auf Inseln mit sehr begrenztem Lebensraum und Ressourcen beobachtet.
- Die neue Art und vorhandene Arten stabilisieren sich in einem Gleichgewicht mit allen anderen Arten, auf die sie aktiv oder passiv Einfluss haben. Dabei kann der Bestand anderer Arten gleich bleiben, auf niedrigerem Niveau stabil bleiben oder zunächst sinken und sich dann erholen. Dieses Szenario ist insgesamt das mit Abstand am häufigsten beobachtete, wobei die Phase der Stabilisierung sehr unterschiedlich lang sein kann.
- Eine neue Art stabilisiert sich eine Zeit lang, verschwindet dann jedoch wieder. Gründe können in der Anpassung anderer Arten auf diese Spezies, beispielsweise als Beute, oder Umweltbedingungen wie ein besonders strenger Winter sein.
Eine Vorhersage über das Szenario lässt sich nur schwer treffen. Grundsätzlich können Neozoen auch andere Neozoen beeinflussen, sowohl positiv als auch negativ.
Beispiele für Neozoen
Viele Neozoen sind jedem bekannt und so alltäglich geworden, dass sie nicht mehr auffallen. Zu ihnen gehört beispielsweise die norwegische Wanderratte (Rattus norvegicus), die auf jedem Kontinent und in nahezu jeder menschlichen Ansiedlung weltweit gefunden wird. Stellenweise hat sie die Population einheimischer Nager zurückgedrängt, in Westeuropa beispielsweise die Hausratte (Rattus rattus). Durch ihre starke Vermehrung und Fresstätigkeit gilt sie als Schädling, wobei jedoch häufig vergessen wird, dass sie als Abfallfresser auch nützliche Eigenschaften hat.
In Australien wird die Agakröte (Bufo marinus) zum Problem, da die giftige und enorm verfressene Amphibienart mit breitem Beutespektrum andere Amphibien, aber auch Insekten und Kleinsäuger vertilgt. Sie wurde von Menschen absichtlich eingeführt, um Schädlinge in Zuckerrohrplantagen zu bekämpfen, ist jedoch längst selbst zum größeren Problem geworden.
Anders verhält es sich mit der Chinesischen Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis), die in vielen europäischen Fließgewässern vorkommt und sich schon lange fest angesiedelt hat. Während zu früheren Zeiten erhebliche Auswirkungen auf vorhandene Krebs- und Fischarten befürchtet wurden, konnten diese nicht bestätigt werden. Es kam und kommt zwar gelegentlich zu leichten wirtschaftlichen Schäden, Bestandsrückgänge in Ökosystemen wurden jedoch nicht festgestellt. Sie ist Träger der Krebspest, das ist jedoch nur in Gewässern mit noch vorhandenen Populationen heimischer Krebsarten relevant.
Ebenfalls einige Aufmerksamkeit als Neozoen erlangten Nandus (Rhea americana) in Deutschland, konkret eine mehrere hundert Tiere zählende Population in Mecklenburg-Vorpommern, die von entflohenen Tieren abstammt. Die erwarteten ökologischen Konsequenzen ergaben sich bislang nicht und werden weiterhin untersucht. Allerdings wurden aufgrund gelegentlicher Beweidung von Feldern erhebliche Proteste aus der Landwirtschaft laut, die in Abschussgenehmigungen für die eigentlich geschützten Tiere gipfelten.
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